Stiller Protest: Waldhof-Gymnasiasten hatten Plakate während der Sitzung des Betriebsausschusses Umweltbetrieb aufgehängt – als Mahnung, sie nicht zu vergessen und zu übergehen bei der Planung. FOTO: KURT EHMKE
Offene Worte zur offenen Lutter-Kanalsanierung
Gutachter: Kein Inliner-Verfahren in der Ravensberger Straße /
Der Zustand des Kanals: „Es ist Gefahr im Verzug“
VON KURT EHMKE
• Bielefeld. Noch gibt es kein grünes Licht für die offene Prüfung von mittlerweile 17 Bereichen für Regenrückhaltung in der Altstadt. Ein entsprechender Beschlussvorschlag wurde von der CDU vertagt – mit der Bitte, die Vorlage als erste Lesung zu behandeln. Nun soll im Januar abgestimmt werden, in der Bezirksvertretung Mitte und dem Betriebsausschuss Umweltbetrieb.
Fest steht aber schon eines: Der Wunsch von Anliegern der Ravensberger Straße (NW berichtete), den Lutter-Kanal im sogenannten Inlinerverfahren, ohne größere Baustellen, zu sanieren, wird ein Wunsch bleiben. In der Ravensberger Straße liegt ein erheblicher Teil des maroden Lutter-Kanals, Gutachter stellten jetzt in der Sitzung des Betriebsausschuss Umweltbetrieb eindeutig klar, dass nur die Sanierung des Kanals mit offener Baustelle das Hochwasserproblem der Altstadt lösen könne. Im Inlinerverfahren wird der Querschnitt des Kanals stark eingeschränkt, die Folge wären unkalkulierbare Hochwasserrisiken für die Altstadt, so Richard Rohlfing. „Das würde nicht beherrschbare Verhältnisse mit sich bringen und wäre auch genehmigungsrechtlich nicht durchzubekommen“, sagte der Experte für unterirdische Wasserbewegungen. Schließlich soll die Lutter laut politischem Beschluss bereits im Bereich vor dem Stauteich I im Inlinerverfahren saniert werden – um dort die Platanen erhalten zu können. Folge: Weiter oberhalb, in Richtung der Altstadt, muss der Kanaloffen saniert werden – bei Erhalt eines möglichst großen Durchmessers. Dennoch wird es nötig, bei Starkregen Wasser quasi zwischenzulagern – damit es nicht in der Altstadt Überschwemmungen erzeugt. Nun liegen 17 Standorte vor, die, teilweise in Kombi-Lösungen, denkbare Bereiche sind für Regenrückhaltebecken oder Überflutungsbereiche. „Das Tor steht wieder weit offen“, bringt es Jörg van Norden (Grüne) auf den Punkt. Dass alleine ein Regenrückhaltebecken am Bolbrinker nicht ausreicht, untermauerte Rohlfing mit Zahlen: Im kritischsten Bereich, der Ecke Am Bach/Neustädter Straße, wo das Grundwasser am dichtesten unter der Oberfläche steht, hat er diese Werte ermittelt: Im Schnitt alle fünf Jahre gibt es eine Hochwasserlage – derzeit würden an der Messstelle 185 Kubikmeter Wasser austreten; ohne das Regenrückhaltebecken Bolbrinker und bei einem durch eine neue, eingezogene Sohle verengtem Lutter-Kanal, 3.051 Kubikmeter Wasser. „Mit Bolbrinker liegt die Zahl irgendwo dazwischen – aber wir wollen ja nicht schlechter werden als im heutigen Ist-Zustand“, sagte Rohlfing. Gutachter Hartmut Loh, er untersucht den Baugrund, präsentierte ein gutes Zwischenergebnis aus seinem Feld: „Die offene Bauweise ist machbar – ohne signifikante Risiken durch das Grundwasser.“ Risiko, das war das Stichwort für Martin Schmitz, der sich dem Bauwerk als solchem widmet: „Nach wie vor ist Gefahr im Verzug“, stellte er klar. Er zeigte Bilder, die deutlich machten, was er meint: Grundwasser steht höher an der Kanalwand, als das Wasser im Kanal – und wenn der Untergrund das Wasser durchlässt in den maroden Kanal, wird außerhalb des Kanals Boden weggespült und landet im Kanal. „Da, wo der Boden weggespült wird, stehen in Bielefeld Häuser.“ Schmitz: „Das Bauwerk ist überlastet.“ Aber: „Der Kanal wird kontinuierlich überwacht.“ Sein Motto: „Keine Panik.“ Alle 14 Tage werde der Kanal begangen und einer Augenprüfung unterzogen, sagte Michael Haver von der Stadt vor gut 70 Bürgern, viele davon aus dem Umfeld der Gymnasien Waldhof und Rats, die gegen Regenrückhaltebecken vor ihren Schulen sind. „Außerdem gibt es eine 24-Stunden-Sensoren-Überwachung an den kritischen Stellen.“ Ergebnis: bisher keine Veränderungen, aber einige Verdachtsfälle. Haver: „Letztlich ist in den vergangenen sieben Monaten alles ruhig geblieben.“ Absolute Sicherheit aber gebe es nicht. Immerhin: Trotz sich verändernder Vorgehensund Planungsweisen soll der Kostenrahmen von zehn Millionen Euro eingehalten werden – Dezernentin Anja Ritschel will einen Sanierungsbeschluss vor den Sommerferien. „Und auf das Stadtjubiläum können wir leider keine Rücksicht nehmen.“
Erst der Kanal – und dann kommt ein Stück Lutter nach oben
So soll es aussehen: Die Lutter fließt an der Ecke Turner Straße/Ravensberger Straße rechts in die Ravensberger Straße hinein – Richtung Teutoburger Straße; ganz rechts befindet sich der Spielplatz.
• Bielefeld (kurt). Es sind die nächsten 600 Meter, auf denen der Verein Pro Lutter die Lutter nach oben holen will: Das Teilstück der Ravensberger Straße, vom Niederwall bis zur Teutoburger Straße. Martin Enderle spricht von einer „Jahrhundertchance“ – weil ja eh gebuddelt wird (siehe Bericht oben). Und so hat der Verein schon zwei Mal mit Anliegern gesprochen, Pläne vorgestellt, Pläne verändert, Wünsche eingearbeitet. Und heute gibt er bei der Bezirksregierung das Konzept ab, Ziel: „Die Förderfähigkeit soll geprüft werden.“ Denn für das zweite Teilstück rechnet Enderle mit einer siebenstelligen Summe,er setzt auf Landes-Zuschüsse in Höhe von 80 Prozent – „dann bin ich optimistisch, dass wir den Rest stemmen können“. Gelder könnten von der Bundesumweltstiftung, der Allianz-Umweltstiftung sowie von regionalen Stiftungen kommen. Enderle und der Verein rechnen damit, dass 2014 das Jahr der Kanalsanierung und der Lutter-Freilegung wird – und dann 2015/16 der dritte Teil der Lutter bis zum Stauteich I an der Reihe ist. Für diesen stehe die Finanzierung derzeit.
Beide Teilstücke hängen direkt an den Lutter-Kanalsanierungen – bis zum Stauteich am aufwändigen Inlinerverfahren, in der Ravensberger Straße an der offenen Sanierung des Lutterkanals. Zum Konzept ander Ravensberger Straße: Ein Ziel sei, so Anwohner Heinz Obermann, „dass wir eine Einbahnstraße bekommen, Fahrtrichtung Innenstadt.“ Parkplätze sollen keine wegfallen, Verkehrsflüsse aus der Innenstadt und aus dem neu entstehenden Wohngebiet in den ehemaligen Anker-Werken vermieden werden. Die Lutter soll vom selben Wasser wie vor dem Gymnasium Waldhof gespeist werden, in ähnlicher Größe – etwa zwei Meter breit und möglichst naturnah, soweit das in der Innenstadtlage möglich ist. „Auf Wunsch der Anwohner soll sie mehrfach die Straßenseite wechseln, so am Spielplatz an der Turnerstraße,damit dieser besser eingebunden wird“, sagt Enderle. Entweder soll die Lutter unter der Straße wechseln – oder unter Metallgittern oder Plexiglasscheiben, das werde noch geprüft. Für die zu fällenden Bäume im Rahmen der Kanalsanierung will Pro Lutter möglichst viele neue Bäume pflanzen, das sei ein wichtiges Ziel, so Enderle. Obermanns Fazit: „Hier entsteht keine Kloake, die Stadt säubert das Gewässer, das wird sehr schön werden.“
Neue Westfälische vom
07.12.2012